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Social-Media-Phänomen Der 88-Jährige, der einen Aushang machte, um beim Videospielen weiterzukommen

»Wer hat Erfahrung mit Playstation-4?«: Dieses Hilfegesuch eines 88-Jährigen ging in den sozialen Netzwerken viral. Unser Autor hat den Mann getroffen, der durch »Skyrim« seine Schmerzen vergessen will.
Klaus-Jürgen Langner mit seiner Playstation 4: Er hat schon den Klassiker »Morrowind« gespielt

Klaus-Jürgen Langner mit seiner Playstation 4: Er hat schon den Klassiker »Morrowind« gespielt

Foto: Matthias Kreienbrink

Der Mann, dessen »Anfrage an die Nachbarschaft« kürzlich Tausende Spielefans begeisterte, bewegt seine Hände, als würde ein Controller darin liegen. »Am Anfang fehlt es mir, gesagt zu bekommen, was ich machen muss«, erzählt Klaus-Jürgen Langner über seinen Einstieg in »The Elder Scrolls V: Skyrim«, eines der populärsten Videospiele der 2010er-Jahre.

Langner sitzt vor seinem Häuschen in Berlin-Spandau, das er mit seiner Frau bewohnt, er trinkt Traubenschorle. »Ich wollte losspielen und habe schnell gemerkt: So einfach ist das nicht«, sagt der 88-Jährige. Darum habe er sich Hilfe gesucht, 100 Plakate ausgedruckt und die in seiner Umgebung verteilt.

»Wer hat Erfahrung mit Playstation-4?«: So sah der Aushang von Klaus-Jürgen Langner aus

»Wer hat Erfahrung mit Playstation-4?«: So sah der Aushang von Klaus-Jürgen Langner aus

Foto: Matthias Kreienbrink

Was als Botschaft an die Nachbarn gedacht war, wurde zum Social-Media-Hit. Vergangene Woche verbreitete sich ein Foto von Langners Plakat auf Twitter, Facebook und Instagram. Der Aushang wurde tausendfach geteilt, weit über Berlin-Spandau hinaus. »Wie süß« und »sehr sympathisch« wurde dazu kommentiert, oder auch: »Ich finde es cool, dass er in dem Alter noch so dabei ist.« Viele fasziniert es offenbar, wenn sich ein Mensch in Langners Alter für Videospiele interessiert.

Eine Playstation 4 musste her

»Skyrim« ist ein Rollenspiel, ein komplexes Werk, das von den Spielerinnen und Spielern viel verlangt. Berühmt-berüchtigt ist es für seine riesige Fantasywelt, in der man Dutzende oder auch mal Hunderte Stunden verbringen kann. Klaus-Jürgen Langner sah sich dafür eigentlich gerüstet, er hat Rollenspielerfahrung.

Vor einigen Jahre habe er »Morrowind« gespielt, sagt er, einen früheren Teil der »The Elder Scrolls«-Reihe, auf Englisch. Einfach gewesen sei das nicht. Doch die Spielwelt von »Morrowind« habe ihn gefesselt, so Langner, das Herumwandern und Bestaunen der Landschaft. Damals spielte er noch auf seinem PC. Auf diesem wollte er nun auch »Skyrim« ausprobieren, doch das Gerät war schon zu alt.

Langner mit einem seiner Kunstwerke: Dieses hat er mit Kugelschreibern gezeichnet

Langner mit einem seiner Kunstwerke: Dieses hat er mit Kugelschreibern gezeichnet

Foto: Matthias Kreienbrink

»Ein Experte hat uns gesagt, dass es teuer wird, wenn wir den PC so aufrüsten, dass er das Spiel packt«, sagt ein Nachbar und Freund von Langner. Der 59-Jährige heißt Heinz und hat mitgeholfen, die Plakate zu erstellen und zu verteilen. Auch das Problem mit dem PC hat Heinz gelöst: Er ging in ein Einkaufszentrum und kaufte Langner eine Playstation 4 samt »Skyrim«.

Beim Spielen jedoch konnte Heinz kaum weiterhelfen. »Wir haben es nicht mal geschafft, aus der ersten Festung zu entkommen«, sagt er, der sich selbst nicht mit Games auskennt. »Wir sind alle Wände abgelaufen, haben aber nicht herausgefunden.« So entstand die Idee mit dem Plakat. »Klaus-Jürgen suchte Leute, die in der Umgebung wohnen und ab und zu mal vorbeischauen, um ihm zu helfen«, erklärt Heinz dazu.

»Mach das, was du denkst«

Klaus-Jürgen Langner wurde 1933 in Schlesien geboren. Nach dem Krieg floh er mit den Eltern nach Deutschland. »Meine Mutter hat mir aus einem Mehlsack einen Tennisanzug geschneidert«, sagt er. »Sie wollte, dass aus mir etwas Besseres wird, dass ich unter andere Leute komme.«

Langner wurde Rechtsanwalt, saß in vielen Verhandlungen. Zu Ausbildungszwecken war er sogar selbst im Gefängnis. Als Wendepunkt seiner Anwaltskarriere beschreibt er heute den Juni 1976. Langner war damals Pflichtverteidiger des RAF-Mitglieds Margrit Schiller, als ein Brandanschlag auf sein Hamburger Anwaltsbüro verübt wurde, infolgedessen eine Mitarbeiterin ums Leben kam.

Nach dem Anschlag wurde Langner von der Pflichtverteidigung entbunden, bald hörte er auf, als Rechtsanwalt zu arbeiten. »Ich kaufte mir einen Wohnwagen, hatte 6000 Mark in der Tasche und fuhr fünf Jahre lang quer durch Europa«, sagt er.

Auf seinen Reisen habe er ein Motto entwickelt, nach dem er heute noch lebt, sagt Langner: »Mach das, was du denkst.« Er selbst habe angefangen zu malen und Gedichte zu schreiben, erzählt er. Nun, während er in der Abendsonne erzählt, zeigt Langner zwischendurch auf die Vögel und fordert, ihnen kurz zuzuhören. Er trägt auch Gedichte vor. Einige hat er im Kopf, andere liest er ab, aus einer Mappe mit vielen losen Blättern. Schließlich holt er auch noch Bilder, die er gemalt hat. Aquarell, Ölfarben, Kugelschreiber, die Bandbreite seiner Kunst ist groß.

»Die Schmerzen waren wie weggeblasen«

»Mach das, was du denkst«, dieses Motto beherzigt Langner auch in »Skyrim«. Die Geschichte des Spiels sei ihm egal, sagt er. Er will die Welt erleben, die riesigen Gletscher und die wilden Flüsse, aus deren Strudeln die Fische springen. Wäre doch nur der Anfang nicht so schwer.

Der Wunsch, »Skyrim« zu spielen, entstand im Schmerz. Sein Problem sei die Hüfte, sagt Langner, laut seinen Ärzten sei er für eine OP aber schon zu alt. Als er im Internet von »Skyrim« las, dachte er an »Morrowind«. Daran, wie der ältere Serienteil ihn die Zeit vergessen ließ, während er sich aufs Spielen konzentrierte. So etwas wollte er noch einmal erleben.

»Als ich die Playstation 4 aufgebaut und versuchte habe, das Spiel zu installieren, lag Klaus-Jürgen mit Schmerzen im Bett«, berichtet Nachbar Heinz. »Aber dann lief das Spiel, und er setzte sich vor den Monitor. Und siehe da: Die Schmerzen waren wie weggeblasen.«

Auch Klaus-Jürgen Langner selbst sagt, beim »Skyrim«-Spielen vergesse er sein Leiden. Dann fokussiere er sich auf das Spiel, verliere sich in dessen Welt. Nach dem Spielen habe er schon mal Rückenschmerzen, das ja, aber das sei es wert. »Ich schreibe da meine eigenen Geschichten«, sagt er, »ich will etwas erleben«.

Gern erzählt Klaus-Jürgen Langner von seiner Wohnwagenreise durch Europa. Er habe unterwegs in einem Dorf in Tschechien Akkordeon gespielt, erinnert er sich: Erwachsene und Kinder seien gekommen, hätten zugehört. Dann hätten sie selbst ihre Lieder gespielt.

»Ich habe mit meinem Wohnwagen überall dort Halt gemacht, wo es mir gefiel«, sagt er. »Manchmal hat da ein schöner Baum gereicht«. Wenn es keiner gesehen habe, habe er schon mal einen Stamm umarmt, sagt Langner, der heute erkundet, was in »Skyrim« wohl auf der Spitze eines virtuellen Gipfels zu finden ist.

Es hat sich jemand gemeldet

Unterstützung für das Rollenspiel habe er inzwischen gefunden, sagt der 88-Jährige, einen netten jungen Mann aus einem Jugendfreizeitheim in der Umgebung. Dieser habe ihm und seinem Freund Heinz gezeigt, wie sie dem ersten Gebiet von »Skyrim« entkommen. Jetzt steht den beiden die Spielwelt offen.

Sich zu merken, welche Controller-Taste welche Funktion hat, das falle ihm nicht leicht, sagt Langner. Oder was die ganzen Symbole bedeuten, die ihm auf dem Bildschirm angezeigt wird. Wer ihm aber beim Spielen zusieht, der merkt, wie viel Freude es ihm macht.

Gerade ist er an einer Stelle, an dem er auf einem Berghang auf drei Findlinge stößt. Sie sollen seinem Charakter besondere Kräfte geben, Langner muss wählen. Er entscheidet sich dafür, zunächst ein Krieger zu werden. »Damit ich nicht immer sofort umgehauen werde«. Dann läuft die Figur weiter, in der Nähe befindet sich der Eingang zu einem Stollen. Ob sein Charakter schon stark genug ist, um darin zu überleben? »Ich probiere es einfach aus«, sagt Langner.

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